Kino ohne Kunst

Es gibt einen Satz über das Kino, der an einem bestimmten Zeitpunkt eine Wahrheit über das Kino als zeitgemässe Kunstform formulierte: “Das Kino produziert Erinnerung, das Fernsehen dagegegen Vergessen.”

Das Kino von Heute ist das Fernsehen von damals. Jener Satz von Godard, der aus einer Zeit stammt, als der Film sich nicht zuletzt als “die” zeitgemässe Kunstform begriff, impliziert den Gedanken, daß jenes Kino Differenz gegenüber der Indifferenz schaffte. Heute dagegen produziert gerade auch der Film Vergessen, mehr noch – er selbst vergisst seine Wurzeln. Vor den Eingängen der Multiplexe trifft eine neue Generation von Kinogängern auf eine Generation, für die eben jener Satz von Godard noch massgebend ist. Für diese Generation existiert das Kino noch als Kunstform, der nicht zuletzt den Originalitätsgedanken einschliest. Sie hat die erste Starwars trilogie gesehen, sie hat die erste Verfilmung des Herrn der Ringe gesehen und nicht zuletzt jenes Kino der großen Regisseure wie Pasolini, Tarkowski und Godard, welche jene neue Generation, die mit ihnen vor den Kinosälen steht, wohl unter dem abfälligen Begriff des nichtkommerzialisierbaren Autorenfilms abtut.

Aber dieser jüngeren Generation, der das Remake das Original bedeuted, das sie nicht kennt, mangelt eben dadurch der Sinn für das, was das Kino als Kunstform auszeichnet – die Erfahrung des Films als neuer und originärer Ausdruck. Sicher, viele dieser Remakes sind beeindruckende optische Erlebnisse, aber im Vergleich mit dem Original, mit der Seherfahrung des Zuschauers damals, für die eben nicht nur der visuelle Effekt, sondern auch die erzählte Geschichte solcherart eine Neuigkeit bedeutete, verliert das Remake sogar dann, wenn es, wie etwa in “The Talented Mr. Ripley” eine bekannte Geschichte durchaus auf originelle und überzeugende Art und Weise neuerzählt.

Aber jene Ausdrucksform des Kinos als explizit künstlerische – unvergessen, wie sich die Farbe Gelb durch alle Einstellungen des ersten Filmes schleicht –, ist auch hier verlorengegangen. Selbst die scheinbare “Neuigkeit” des Schnittes in Tarantino’s “Pulp Fiktion”, der die linear abgefilmte Geschichte durch eine nichtlineare Darstellung auflöst, bleibt im Vergleich zum Beispiel mit Tarkowski’s Entwurf einer eigenen filmischen Zeit am Ende doch auf das rein visuelle Spektakel beschänkt. Das dieses Beispiel aber jenen Furor als “neues filmisches Mittel” (der es nie war) erregte, der mittlerweile in jedem amerikanischen Handbuch für Drehbuchautoren nachzulesen ist, zeigt auf der einen Seite die Fantasiearmut der heutigen Filmindustrie, wie es auf der anderen Seite das echte Bedürfniss nach einer Erneuerung des Kinos, nicht zuletzt auch aus kommerziellen Interessen, illustriert.

Das heutige Kino ist allenfalls Pop – die ewige Wiederholung des Immergleicheren. Es lässt sich besser mit Warhol als Godard betrachten. Bestenfalls sieht der Zuschauer noch sein eigenes Leben aus der Leinwand heraustreten wie in Woody Allen’s “Purple Rose of Kairo”, aber die Zeit des Kinos als originelle Kunstform ist vielleicht abgelaufen, wenn es dem Kino nicht gelingt, neue “künstlerische Mittel” jenseits des nur visuellen Spektakels zu entwickeln. Die Neuigkeit des Mediums an sich und damit auch die Möglichkeit, eine Kunstform bis ins Extrem auszureizen, ist heute eine banale geworden.

Die Krisis des Kinos ist sicher keine kommerzielle, sondern eine künstlerische, wobei letztere auch aus dem absoluten Supremat des ersten resultiert. Das auf dem Feld der rein visuellen Neuigkeit auch gute Erfolge zu betrachten sind, bleibt dabei unbestritten, wie zum Beispiel die Verfilmung eines Videospiels a la “Resident Evil” beweist. Aber der Erfolg hier resultiert vor allem aus der gelungenen und in dieser Perfektion noch nicht geschauten Vermischung klassischer Kinogenres – des Horrorfilms (durchaus auf B-Movie Ebene) und des Actionfilms. Das genau an dieser Stelle andere Filme wie “Spiderman” scheitern, liegt in eben jenem Trugschluss, das Kino sich nur auf der rein audiovisuellen Ebene abspielt. Hier wird das Medium mit dem Stoff und dem Ziel verwechselt und muss über kurz oder lang scheitern.

Die Geschichte und damit die Bedeutung des Bildes an sich ist lange zweitrangig geworden vor dem Spezialeffekt. Aber die visuelle Neuigkeit, das so noch nicht geschaute, der Choq, muss verblassen vor eben dieser Indifferenz der reinen Produktionsmasse. Es läuft doch niemand mehr beim Anblick eines auf sich zurasenden Zuges aus dem Kino, und ernsthaft fühlt sich niemand beschossen unter den Bilder des D-days. Und letztendlich ist auch der spektakulärste Effekt kalkulierbar und Zuschauer ist lange schon der bessere Regisseur in einem mittelmässigen Film, der den Effekt vorausahnt, weil er ja genau an der Stelle kommt, wo er ihn schon hundertmal gesehen hat und erwartet.

Das ist eine filmischen Erfahrung, gegen die die Mehrheit der heute produzierten Filme mit immer größeren (und leereren) Bildern anzugehen versucht, und die just das Gegenteil produzieren – Indifferenz und immer schnelleres Vergessen. Ein Kino a la Hollywood, das nur auf die Ohnmacht des Betrachters vor der reinen Macht der Bilder setzt, muss ohne Megaschirm und Dolbysurround seine Wirkung verlieren, weil es seine Geschichten vergessen hat.

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