Nachhaltig Wohnraum schaffen?

Da hier ja offenbar auch einiges an unsinnigem Halbwissen (Stichwort: Tinyhouses) gepostet wird, möchte ich hier mal meinen Senf zu meinem Fachgebiet abgeben und die Erfahrungen einfließen lassen, die ich in den letzten Jahren gemacht habe. Es geht hier um einen Teilaspekt der Frage: Wie schaffen wir die Bauwende?

Am Anfang steht die These, dass es im Grunde ja eigentlich genug Wohnraum für alle gibt und Neubauten zu vermeiden sind. Aufgrund der Eigenheit einer Immobilie, dass sie eben nicht mobil ist, stehen wir aber gleichzeitig vor dem Problem, dass der vorhandene Wohnraum nicht dort zur Verfügung steht, wo er gebraucht wird. Zumindest in wachsenden Städten werden wir auch in absehbarer Zukunft damit rechnen müssen, dass neuer Wohnraum geschaffen werden muss. Auf welche Weise kann das möglichst nachhaltig geschehen?

Ein großes Potential liegt bei Aufstockungen und Dachgeschossausbauten. Hier kann neuer Wohnraum geschaffen werden, ohne dass ein einziger Quadratmeter Fläche neu versiegelt wird oder neue Infrastruktur geschaffen werden muss. Gleichzeitig wird nebenbei die urbane Dichte erhöht, was in unmittelbarer Konsequenz den öffentlichen Nahverkehr rentabler macht und damit auch langfristig verbessert. Aber viele Dachgeschossausbauten und Aufstockungen scheitern schon in den frühen Planungsphasen. Woran liegt das? Im Prinzip lassen sich die Gründe für das Scheitern auf drei Gruppen aufteilen: Bau- und Planungsrecht, Statik und Bauphysik und natürlich Wirtschaftlichkeit. Im Folgenden sollen die Probleme im näheren Detail beschrieben werden und auf mögliche Lösungen eingegangen werden:

  1. Bau- und Planungsrecht Bei der Erteilung einer Baugenehmigung wird in eine Prüfung nach Baurecht und nach Planungsrecht unterschieden. Die Frage nach dem Baurecht beschäftigt sich mit der grundsätzlichen Frage: Ist diese Art von Gebäude grundsätzlich zulässig? Das Planungsrecht stellt hingegen die Frage: Ist diese Art von Gebäude hier an dieser Stelle zulässig? Bei der Frage, ob ein Gebäude in seiner Größe, Form und Nutzung an einer bestimmten Stelle zulässig ist, wird zwischen drei Fällen unterschieden: Bauen innerhalb eines Bebauungsplans, Bauen im Zusammenhang und Bauen außerhalb von zusammenhängenden Siedlungen (auch Außenbereich genannt). Der letztere Fall spielt hier eine untergeordnete Rolle und wird in diesem Text nicht näher behandelt. Wie kann ein Bebauungsplan eine Aufstockung oder einen Dachgeschossausbau verhindern? In der Regel enthalten solche Pläne Angaben zur Geschossigkeit, Höhe und maximalen Geschossfläche (Gesamtfläche aller Geschosse auf dem Grundstück), die auf dem Grundstück realisiert werden darf. Häufig gibt es auch Vorgaben zur maximalen Breite von Gauben und sonstigen Dachausbauten. Außerdem werden in der Regel Baugrenzen festgelegt, die bestimmen, in welchen Grundstücksteilen Gebäude zulässig sind – ein Punkt, der gerade bei Nachverdichtungen auch relevant werden kann. In weniger dicht besiedelten Wohngegenden wird pro Grundstück auch oft eine maximale Anzahl für Wohnungen pro Gebäude genannt. Limitierender Faktor für Aufstockungen und Dachgeschossausbauten in älteren Bebauungsplänen ist aber häufig die Geschossfläche. Die Berechnungsmethode der Geschossfläche wurde im Verlaufe der Zeit mehrmals geändert. So wurden Aufenthaltsräume im Dach- oder Staffelgeschoss früher mit angerechnet, während sie nach heutigem Recht in der Berechnung entfallen. In der Theorie würde das eine Aufstockung oder einen Dachgeschossausbau erleichtern oder gerade erst möglich machen, wenn da nicht ein kleiner Haken wäre, der sich da nennt: „Statischer Verweis“. Das bedeutet im Prinzip, dass für alle planungsrechtlichen Größen die Gesetze maßgeblich sind, die zu dem Zeitpunkt gültig waren, als der Bebauungsplan aufgestellt wurde. Besonders pikant ist hier auch, dass ein Bebauungsplan nicht einfach so irgendwann seine Gültigkeit verliert. Solange es nicht einen Aufhebungsbeschluss oder neuen Bebauungsplan (beides häufig ein langer Prozess) gibt, behält der alte Plan seine Gültigkeit, selbst wenn er auf schon längst überholten städtebaulichen Paradigmen basiert. Wie werden wir also die veralteten Regeln von Bebauungsplänen los? Es würde wahrscheinlich schon ein ganzes Stück weiter helfen, wenn die statischen Verweise entfielen und man alles nach aktuellem Recht bewerten könnte. Eine andere Variante wäre es, die Geltungsdauer von Bebauungsplänen grundsätzlich zu limitieren. Nach Ablauf einer Frist von bspw. 30 Jahren würden dann für das Areal wieder die Regeln für das Bauen im Zusammenhang gelten – wobei diese auch nicht ohne ihre Probleme sind. Beim Bauen im Zusammenhang wird die Zulässigkeit eines Bauvorhabens danach beurteilt, ob es in der unmittelbaren Umgebung bereits vergleichbare Gebäude gibt. Wenn also einer von deinen Nachbarn sein Dachgeschoss mit riesigen Gauben ausgebaut hat, sind das gute Nachrichten für dich als Hausbesitzer mit Ausbauwunsch. Hast du allerdings ein Viertel mit prinzipiell ausbaufähigen Dachgeschossen, wo aber nirgendwo Gauben sitzen, wirst du es schwer haben, eine Genehmigung zu bekommen. Angeblich befürchtet die Stadt in solchen Fällen, dass ein Nachbar klagen könnte oder ein unerwünschter Präzedenzfall für andere Bauvorhaben geschaffen wird. Mit ein bisschen Glück und einem sehr langen Atem schaffst du es, dich mit ein paar Nachbarn zusammen zu tun und die Stadt zu überreden, einen Bebauungsplan aufzustellen, der solche Ausbauten zulässt, du musst aber damit rechnen, dass die Aufstellung des Plans mehrere Jahre dauert und du für die Planungskosten aufkommst. Nun einmal angenommen, das örtliche Planungsrecht lässt deine Aufstockung oder deinen Dachgeschossausbau zu und du lässt einen Entwurf erstellen. Auch hier gibt es einige Hürden, die sich im Laufe der Jahre ergeben haben. Diese ergeben sich aus Vorgaben für Barrierefreiheit, Brandschutz und Stellplätze. Die Vorgaben für Barrierefreiheit in neu geschaffenen Wohnungen variieren je nach Bundesland. In NRW bedeuten die Vorgaben im Endeffekt, dass jede neue Wohnung in einem Mehrfamilienhaus barrierefrei sein und bestimmte Bewegungsflächen in bestimmten Räumen aufweisen muss. Befreiung ist nur im Falle von ungünstigem Gelände oder Gebäudebestand möglich. Das bedeutet nicht, wenn eine nicht-barrierefreie Treppe der einzige Weg ist, mit dem die Wohnung erschließen kannst, dass dann alle Anforderungen an die Barrierefreiheit entfallen: Innerhalb der Wohnung sind die Bewegungsflächen immer noch nachzuweisen, selbst wenn es sich um das 4. Obergeschoss handelt. Ein guter Architekt kann mit den Flächen umgehen und trotz der vielen Vorgaben noch eine gute Wohnung schaffen. Unterm Strich kann es aber auch mal passieren, dass das Esszimmer schrumpft, weil das Bad größer werden muss, oder dass statt zwei kleinen Wohnungen nur noch eine große Wohnung möglich ist. Natürlich ist es immer möglich, sich für einzelne Teilbereiche eine Abweichung genehmigen zu lassen. Hier ist man aber immer dem Wohlwollen der Genehmigungsbehörde unterworfen. Planungssicherheit durch ein klarer formuliertes Gesetz wäre schöner. Während die Barrierefreiheit mit Blick auf die zukünftigen Bewohnenden sicher etwas Spielraum zulässt, sollte man beim Brandschutz keine Kompromisse eingehen. Seit den 80er Jahren braucht jede Wohnung neben dem Treppenhaus einen zweiten Rettungsweg. Für diesen ist in der Regel ein Fenster ausreichend, das von der Feuerwehr angeleitert werden kann. Dies kann gerade in Dachgeschossen etwas kompliziert werden, da zwischen dem Fenster und der anleiterbaren Kante in der Regel immer noch ein Stück Dach liegt, das überbrückt werden muss. Wie dies geschieht, wird von den örtlichen Behörden sehr unterschiedlich gehandhabt. Einige Bauordnungsämter lassen einzelne Trittstufen zu, ab und zu sieht man auf den Dächern auch mal richtige Stahltreppen mit Geländer. Zumindest bei älteren Gebäuden. Es kann auch vorkommen, dass sich eine Behörde überlegt, dass man solche Lösungen nicht mehr zulässt. Tut mir leid, das machen wir heute nicht mehr so, Ästhetik geht vor, selbst wenn es der Nachbar vor 15 Jahren genau so gemacht hat, wie du geplant hast. Eine Baugenehmigung für die Spitzbodenwohnung bekommst du nicht, weil kein zweiter Rettungsweg möglich ist, aber wenn du schwarz vermietest, haben wir nichts mitbekommen und sind aus der Haftung. Besonders lustig ist es, wenn ein Fenster deswegen nicht anleiterbar ist, weil die Fläche, die zum Aufstellen der Leiter in Frage käme, nicht geeignet ist, weil sie bereits von Straßenrandparkern genutzt wird. Womit wir beim nächsten Thema wären. Weil die Parkkapazitäten am Straßenrand bei weitem nicht für alle Bewohnenden ausreichen, ist man beim Bau oder der Erweiterung von Gebäuden verpflichtet, auf dem Grundstück oder in zumutbarer Entfernung Parkplätze zu schaffen. Da es so etwas wie induzierte Nachfrage ja bekanntlich nicht gibt, sind die Straßen heute auch nicht mehr zugeparkt. Wer auf dem Grundstück nicht genug Platz für die nötigen Parkplätze hat, kann sich diese auch gegen eine entsprechende Gebühr ablösen lassen, die dann von Seiten der Stadt in ÖPNV oder öffentlich nutzbare Parkplätze investiert wird. Gerade bei der Erweiterung von alten Gebäuden ist das häufig die einzige Möglichkeit, um das Schaffen von neuen Parkplätzen herum zu kommen. Die genaue Anzahl der nötigen Stellplätze ist häufig über die Stellplatzsatzung der jeweiligen Gemeinde geregelt. Hier sollte lobend erwähnt werden, dass es bei einigen Städten in der Satzung bereits den Passus gibt, dass bei einem Dachgeschossausbau keine neuen Stellplätze nachgewiesen oder abgelöst werden müssen – wenn auf dem Grundstück nachweislich keine neuen Stellplätze hergestellt werden können. Heißt im Umkehrschluss: Wenn der Platz da ist, dann soll er bitte auch betoniert werden. Das ganze kann schon etwas frustrierend sein, da sich dieses Problem ja mit einer relativ simplen Gesetzesänderung begegnen lassen könnte.
  2. Statik und Bauphysik Wenn man als Hürde für eine Aufstockung die Statik anführt, dann denkt man als Laie als erstes wahrscheinlich an das Gewicht der neuen Wände, das abgeleitet werden muss. Tatsächlich ist die Statik aber auch bei Dachgeschossausbauten häufig der KO-Faktor – und anders als die im bisherigen Text angeführten Hürden ein Problem, für das es nicht immer eine Lösung gibt. Das Problem liegt in der Belastbarkeit der Decken. Für jede Decke wird in der Berechnung die Summe aus Eigengewicht, unbeweglicher Last (Putz, Estrich, Bodenbelag) und Verkehrslast (Personen, Möbel) zu Grunde gelegt, woraus sich dann die Bemessung der Deckendicke und bei Betondecken die Stahlmenge ergibt. Der springende Punkt ist hier die Verkehrslast: Für Wohnräume wurden hier früher 150kg/m2 angenommen (heute sind es oft auch 200), während für Abstellräume und unausgebaute Dachräume 100kg/m2 ausreichten. Das heißt jetzt nicht, dass die Decke bei der falschen Nutzung gleich einstürzt, häufig bleibt es bei Schwingungen, Durchbiegung und Rissen. Aber selbst diese können die Wohnqualität erheblich einschränken. Bei Holzbalkendecken hat man wenigstens die Möglichkeit, zusätzliche Balken einzulegen, aber der Stahlanteil in Betondecken lässt sich natürlich nachträglich nicht mehr erhöhen. Ein schlauer Bauherr wird sich jetzt denken: „Dann spare ich mir einfach den Estrich und komme damit wieder auf die Verkehrslasten!“. Kann man machen, wenn niemand hinschaut, ist halt illegal und heute schauen die Ämter auch genauer hin. Es gibt auch superleichte Estrichsysteme, die aber trotzdem nicht den gesetzlich geforderten Schallschutz erfüllen, denn Schallschutz wird vor Allem durch Eines erzeugt: Masse. Klar gäbe es hier die Möglichkeit, die Schallschutzvorschriften etwas aufzuweichen, aber das wäre wohl eher im Sinne des Eigentümers als der Mieterschaft. Ein unorthodoxer Weg bestünde darin, über der vorhandenen Decke noch eine weitere Decke zu betonieren, die die nötige Verkehrslast tragen kann – was mich aber zum letzten Punkt bringt:
  3. Wirtschaftlichkeit Das Thema der Wirtschaftlichkeit zieht sich natürlich durch alle vorgenannten Punkte. Ob ich jetzt durch das Planungsrecht limitiert bin bei der Breite der Gauben, ob ich durch Stellplatzablösung drauf zahlen muss, oder ob ich noch einmal extra in den Schallschutz investieren muss: Wenn sich das investierte Geld nicht über einen absehbaren Zeitraum wieder über Mieten einholen lässt, macht eine Aufstockung oder ein Dachgeschossausbau für einen kapitalistisch veranlagten Menschen keinen Sinn. Und zu den oben genannten Punkten kommen natürlich noch die reduzierte vermietbare Wohnfläche aufgrund von Dachschrägen, das Risiko für unvorhergesehene Kosten beim Bauen im Bestand und offenbar auch eher schlechte Möglichkeiten bei der KfW-Förderung. Natürlich gäbe es hier auch die Möglichkeit, staatlich gegenzusteuern, durch Förderung, günstige Kredite oder die Besteuerung von ungenutztem Dachraum. Aber Voraussetzung wäre hier natürlich, dass es von staatlicher und gesellschaftlicher Seite wirklich gewünscht ist, den benötigten Wohnraum auf nachhaltige Weise zu schaffen.