TBT: Medienwelt im Umbruch

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Die etablierten Medien, allen voran die Tageszeitungen, haben seit Jahren mit existenzbedrohenden Problemen zu kämpfen. Die Werbeeinnahmen brechen kontinuierlich ein und die Leser bleiben aus. Dieser Trend ist aber nicht unumkehrbar. Die neuen Technologien erlauben es, das Publikum systematischer in den Kommunikationsprozess einzubinden. Ein möglicher Lösungsansatz.

Throwback Thursday
Dieser Beitrag von mir erschien ursprünglich vor Jahren auf einem mittlerweile offline genommenen Portal. In loser Folge grabe ich tief in meinen Archiv und stosse manchmal auf sowas wie Gold. Enjoy! #TBT #Bürgerjournalismus

Der Buchhandel hat es vorgemacht: Während noch in den Achtzigern die Verlage diktieren konnten, was gelesen wird, verlagerte sich die Meinungsbildung in den Neunzigern hin zum Handel und zu den Medien. Heute jedoch hat sich soetwas wie ein Endkundenmarkt etabliert. Allein Amazon bietet 2,2 Millionen Titel in seinen Katalogen an. Vergriffene, gebrauchte, neue, fast neue Bücher, alle sind sie abrufbar auf einen Klick. Dabei handelt es sich – und das ist die wahre Revolution – nicht um Karteileichen. Amazon macht zwischen 40 und 57 Prozent Umsatz mit den Titeln aus diesem sogenannten Long Tail. Auch buch.de weist für grosse Buchverlage mit einer entsprechend umfangreichen Backlist (also vielen alten Titeln) einen Umsatzanteil von rund 50 Prozent aus, und selbst bei kleineren Verlagen liegt der Backlist Anteil bei einem Viertel. Der Endkunde, der Leser also, bestimmt den Markt.

Was können die Printmedien daraus lernen?

Bevor wir uns möglichen Lösungen zuwenden, müssen wir die Krise genauer analysieren. Es ist eine hausgemachte Krise. Die Printmedien verlieren immer mehr Marktanteile an das Fernsehen, das Radio und vor allem an das Internet. Immer mehr Leser informieren sich entlang ihren Präferenzen und wollen sich nicht mehr der Meinungsdiktatur der Medien aussetzen. Fündig werden sie dabei hauptsächlich im Internet. Ohne an einen regulierten Redaktionsalltag gebunden zu sein, berichten Blogs (web logs oder Internet-Tagebücher) und andere Onlineportale dezidiert subjektiv über tagesaktuelles Geschehen.

Der selbst herbei geschriebene angebliche Niedergang ist also ein klassisches “den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen”-Phänomen. Eine Rückbesinnung auf einen vielleicht altmodischen, aber lebhaften Journalismus tut Not. Dieser konzentriert sich auf eine lokale Berichterstattung und auf das Finden und Schreiben von heissen Storys. Kurz, ein Journalismus, der den offiziellen Stellen Kopfschmerzen bereitet und seine Kontrollfunktion im öffentlichen Diskurs wieder wahrnimmt. Soviel zur inhaltlichen Veränderung.

Überleben wird nur, wer Rücksicht nimmt auf die Wünsche der Leser. Interaktion lautet die Devise. Blogs und andere Online-Angebote leben von der Auseinandersetzung mit den Lesern. Hier hinken die Printmedien der Zeit hinterher. Ausser den regelmässigen Leserbrief-Spalten hat sich nichts getan. Erste Versuche wie z.B. das Weblog der Los Angeles Times scheiterten kläglich – wegen angeblichen Pöbeleien wurde die Kommentarfunktion ausgeschaltet.

Avantgarde in den USA

In den USA sind die etablierten Medien in ihrer Auseinandersetzung mit den neuen Realitäten etwas weiter als in unseren Breitengraden. Ein möglicher Lösungsansatz bietet der sogenannte participatory journalism: der Leserschaft wird die Möglichkeit geboten, Artikel nach Wikipedia-Art zu bearbeiten und zu kommentieren. Besonders darin hervorgetan haben sich Online-Projekte im dünn besiedelten Westen, wo die Portale den verstreut lebenden Usern mehr als nur abrufbare Nachrichten bieten müssen. Einer dieser Avantgardisten, der New West aus Missoula, Montana, will in diesem Jahr auch ein monatliches Magazin, ganz altmodisch auf Papier, veröffentlichen.

Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgt das Wisconsin State Journal. Warum sollte man neue Leser nicht locken und für die Zeitung interessieren, indem man die interaktiven Möglichkeiten des Internet nutzt? Ab sofort können beim Wisconsin State Journal die Leser zwischen 11 und 16 Uhr mitentscheiden, was am nächsten Tag auf der Titelseite der Zeitung landet. Natürlich stellt die Leserschaft dabei nicht die ganze Seite zusammen. Nur die populärste Online-Story schafft es auf den Titel. Die Aktion wird gut angenommen. Auch die Redakteure lernen nun etwas über die Präferenzen ihrer Leserschaft. In Zukunft würden es wohl mehr Meinungsformate und Berichte aus subjektiven Perspektiven auf die Titelseite schaffen, glaubt man bei der Zeitung.

Ohmy-News aus Südkorea: Bürger-Reporter

Bürger-Reporter nennen sie sich, die über 40.000 Journalisten, die Koreas aufregendstes Zeitungsprojekt machen, die Ohmy-News, eine professionell gestaltete Website, in der jeder schreiben darf, der sich als Mitglied registriert hat. Im Land mit der höchsten Dichte an Internet-Nutzern – 70 Prozent der Haushalte haben Breitbandanschluss – führen journalistische Laien die etablierte Presse vor. Ohmy-News ist kein Printorgan, das im Internet nur einen zusätzlichen Vertriebsweg sieht, sondern ein Web-Projekt, das nebenbei jeden Samstag seine besten Beiträge als Zeitung druckt. Ohmy gehört in Korea bereits zu den führenden Stimmen des Landes. Seit etwas mehr als einem Jahr publiziert sie auch eine englischsprachige, internationale Internet-Zeitung; eine japanische und eine chinesische sind geplant.

Natürlich wird auch hier noch durch eine Redaktion eine Auswahl getroffen. Diese Redaktion sichtet die Beiträge, weist rund ein Drittel zurück, prüft Fakten, redigiert und besorgt das Layout. Ist ein Text einmal aufgeschaltet, können die meist jungen Autoren ihre Leser zählen. Und diese kommentieren, was sie lesen – und können, falls ihnen ein Text gefällt, im sogenannten Trinkgeldtopf ein kleines Honorar zahlen.

Ohmy-News hat Koreas Medien nicht nur zur Öffnung gezwungen, der Open-Source-Journalismus gräbt ihnen auch Einnahmen ab. In den Anfängen begeisterte das Internet als Technologie, dann erkannte man, dass das Geschäft jene machten, die über Inhalte verfügten, die Leser anziehen, also Medien- und Musikfirmen. Das Internet ist interaktiv. 40 Prozent der zwei Millionen Augenpaare, die täglich Ohmy anklicken, schauen sich auch Leser-Kommentare an und äussern sich selber. Sie sind zudem jung und überdurchschnittlich gebildet. Genau, was die Werbung wünscht.

Mischformen als nachhaltiger Erfolgsfaktor

Eine verstärkte Integration von kommunikationswilligen Laien in die arbeitsteiligen Medienorganisationen bietet sich also also Lösung an. In Europa macht derzeit das Beispiel der norwegischen Zeitung VG Schule, die ihre Leserschaft dazu auffordert, via SMS, E-Mail, Fax oder Telefon Beiträge anzubieten. Für Verwertbares gibt es Geld. Die Redaktion behält allerdings die Oberhoheit. Den Bloggern bleibt die Nische des Meinungsjournalismus, während die etablierten Medien dank klarem Investigativjournalismus mit verstärkter Interaktion wieder die Nähe zum Leser, zum Kunden finden können. Damit werden sie automatisch wieder interessanter für die Werbekunden und können sich nachhaltig ihren Anteil an den Werbeetats sichern.

Die neuen Technologien erlauben es, das Publikum systematischer in den Kommunikationsprozess einzubinden. Fast, so scheint es, wird Brechts Forderung nach einem „emanzipatorischen Medienapparat“ doch noch Wirklichkeit. In der neuen Medienwelt ist Platz für alle: für einen boomenden Zeitungsmarkt, der Hintergrund- und lokale Berichterstattung bietet, lokale, nationale und internationale TV- und Radiostationen, Magazine und Zeitschriften und eben auch für eine florierende Blogosphäre. Bestimmend ist nicht das Medium, sondern der Inhalt, der transportiert wird. Wer immer die Inhalte bietet, die der Konsument wünscht, wird prosperieren. Die anderen verschwinden vom Markt.

(Erstveröffentlichung: 2006-01-30)


Bildquelle Jerry Michalski, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

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