Learning and more

Randnotizen, halbgare Ideen und Momentaufnahmen meines Denkens und Lernens

Die Ständige wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz hat Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel vorgelegt. Die Vorschläge lassen sich ganz knapp so zusammen: Lehrerinnen und Lehrer sollen mehr arbeiten. Teilzeitstellen sollen abgebaut werden. Klassen sollen vergrößert werden.

Der Lehrer Bob Blume kommentiert das im Spiegel so:

“Lehrerinnen und Lehrern, die längst am Limit sind, erst zusätzliche Arbeit aufzubürden und ihnen dann Resilienztraining anzubieten, das ist schon frech. Denn diese Trainings vermitteln unterschwellig, dass es der Einzelne schon irgendwie schaffen kann, dem systemischen Versagen mit dem Lotussitz zu begegnen. Aus dieser Idee sprechen pure Hilflosigkeit und sogar Fahrlässigkeit. Die Botschaft ist, dass die politisch zu verantwortende Misere individuell an der Front behoben werden muss.”

Konsequenterweise hat er sich nun mit Mark Rackles und anderen zusammengetan und den Bildungsrat von unten ins Leben gerufen. Dem neuen Bildungsrat geht es darum

“außerhalb der KMK, SWK und sonstiger universitärer Beratungszirkel (mit ihren spezifischen Eigeninteressen) Schwarmintelligenz zu aktivieren. Hier sollen sich Menschen mit Praxiserfahrung, mit Veränderungswillen und einem Hang zu konstruktiver Kritik vernetzen. Menschen, die an konkreten Lösungen arbeiten wollen, die real in der Praxis und auf Dauer Abhilfe schaffen in Bezug auf den drastischen Lehrkräftemangel (SWK: 'Historische Herausforderung')“.

Ich denke, das ist genau, was gebraucht wird: ein sich selbst ermächtigendes Netzwerk aus Menschen, das sich einmischt und exakt dort ansetzt, wo die etablierten politischen Institutionen versagen und Probleme verschleppen.

Harold Jarche hat kürzlich ein ähnliches Phänomen in den USA während der Corona-Pandemie beschrieben: Als die dortige nationale Gesundheitsbehörde CDC zunehmend versagte und Miss- bzw. Falschinformationen in Umlauf brachte, gründete sich der People's CDC. People's CDC ist “eine vernetzte alternative Quelle für glaubwürdige Informationen, die die Korridore der institutionellen Macht umgeht”. Jarche ist der Ansicht, dass zunehmend solche Netzwerke aus der Zivilgesellschaft entstehen und allmählich sowohl die etablierten politischen Institutionen als auch Märkte als führende Oranganisationsformen der Gesellschaft ablösen werden, weil diese die komplexen Probleme unserer Zeit nicht lösen können.

Notiz an mich selbst:

Ich nehme heute an einem Barcamp teil und bin gerade in einer Session in der 13 Menschen in einer Breakout-Session 20 Minuten Zeit haben, in Austausch über das Thema zu treten.

Es gibt kein vordefiniertes Setting für eine Gesprächsstruktur, und es gibt keine vorbereitete Fragestellung für das Gespräch.

Das ist sehr schade, denn ...

  1. führt die fehlende Struktur dazu, dass vor allem die “Lautesten” Redeanteile bekommen bzw. Diejenigen, die sich das Wort nehmen
  2. und es werden ca. 17 Minuten dafür gebraucht irgendwie Leitfragen zu sammeln und zu priorisieren und darüber zu sprechen, was man jetzt mit der Zeit sinnvoll anfangen könne.

Es gelingt nicht, dass sich die bisher fremden Menschen in der Kürze der Zeit selbst organisieren, auf eine Gesprächsstruktur einigen und einen inhaltlichen Fokus abstimmen.

Das Gespräch führt leider nicht zu Ergebnissen.

Learning für mich:

Damit ein fruchtbares Gespräch entstehen kann, braucht es in einer solchen Situation erstens eine vordefinierte, einfach umzusetzende Gesprächsstruktur, und zweitens braucht es einen klaren inhaltlichen Fokus. Außerdem braucht es m. E. Kleingruppen von 4-6 Personen. Eine Gruppe von 13 Menschen hat in 20 Minuten kaum eine Chance in einen sinnvollen Austausch zu treten.

Ein (halbgares) Beispiel aus dem Stehgreif: “Teilt nacheinander in der Runde, was euch im Zusammenhang mit X (Thema oder Themenaspekt) bewegt. Sprecht pro Person eine Minute. Tauscht euch anschließend in der Gruppe aus über das Gehörte.”

Sprechen & Zuhören ist ein Dialogformat, das Mehr Demokratie entwickelt hat.

Was ist Sprechen & Zuhören? „Sprechen & Zuhören“ ist mehr als die Debatten im Chat oder einzelne Wortmeldungen nach einer Podiumsdiskussion. In zufällig zusammengestellten Kleingruppen bekommt jede Person gleich viel Redezeit und hört jeder anderen Person in der Runde zu. Warum das Ganze? Politische Debatten verlaufen anders, wenn wir uns einbringen können, nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit persönlichen Erfahrungen und Emotionen. Dieser These ist Mehr Demokratie in den vergangenen Monaten nachgegangen und hat daraus unter anderem das Format „Sprechen & Zuhören“ entwickelt. Die Hoffnung ist, dass wir so wegkommen von der reinen Informationsaufnahme und dem in der Politik üblichen Schlagabtausch. Dass wir uns – egal zu welchem politischen Thema – als Menschen begegnen und damit vielleicht sogar verändert aus einem Gespräch herausgehen. Denn das Gespräch ist die Seele der Demokratie.

Quelle: “Mehr Demokratie”, Einladung vom 01.02.2023 zur Online-Veranstaltung Sprechen & Zuhören

Weitere Hintergründe dazu auf der Webseite von “Mehr Demokratie” im Beitrag Deepening Democracy

Gestern Abend habe ich ausnahmsweise die Talkshow Hart aber fair gesehen. Normalerweise sehe ich mir keine Talkshows an, aber gestern ging es in der Sendung um Klimaschutz. Das Thema interessiert mich, und ich ließ mich dazu hinreißen einzuschalten.

Puh.

Was ich gesehen habe, war tatsächlich eine Talk-Show im schlechten Sinne. Eine Show in der die Teilnehmenden versuchten, ihre Sicht auf das Thema zu verbreiten und die Konkurrent*innen auszustechen und in ein schlechtes Licht zu rücken. Streitgespräch. Wettkampf. Ein fast permanenter Kampf um Redeanteile und um die Gunst des Publikums. Außerdem habe ich einen Moderator gesehen, der irgendwie die Rolle inne hatte, einen Sack Flöhe zu hüten.

Das lag meines Erachtens aber weder unmittelbar am Moderator noch an den Gesprächsteilnehmer*innen. Ich denke es liegt an der grundlegenden Struktur vieler Talkshows, die als Streitgespräche konzipiert sind. An der Aufmerksamkeitsökonomie. Am Buhlen der Sender um Einschaltquoten. ...

Mich ermüdet das total.

Was ich mir wünschen würde, wäre ein solches Format:

Alle Teilnehmenden bekommen in einer Eingangsrunde etwa 5 Minuten Zeit, um ihre Sicht auf das Thema ohne Unterbrechung darzulegen. Plus 1-2 Minuten, in denen der Moderator und die anderen Gäste Verständnisfragen stellen können.

Anschließend gibt es eine zweite Runde, in der sich alle nochmals nacheinander äußern und dabei auf das Gehörte aus der ersten Runde Bezug nehmen können.

Und dann gibt es einen generativen Dialog aller Beteiligten, in dem es darum geht, gemeinsam Positionen weiterzuentwickeln.

Kooperation statt Konfrontation.

Geht nicht?

Vermutlich bin ich an dieser Stelle zu optimistisch, was eine solche Art von Sendung im öffentlichen oder privaten Fernsehen angeht. Wahrscheinlich würde sie nicht genügend Zuspruch finden, um sich im Programm zu halten.

Geht doch!

Ich hatte persönlich das Glück, mir in den letzten Jahren ein Umfeld aufbauen zu können, in dem ich immer wieder an solchen Gesprächsrunden in kleinerem Kreis oder auch in größeren Runden teilnehmen kann. Mit Menschen, die ich kenne, und auch mit unbekannten Menschen.

Aus diesen Gesprächen komme ich in der Regel mit dem Gefühl heraus, verstanden worden zu sein, mich verbunden zu fühlen (ggf. trotz gegensätzlicher inhaltlicher Positionen) und etwas gelernt zu haben.

Mehr Demokratie bietet beispielsweise seit einiger Zeit regelmäßig ein solches Austauschformat an. Es heißt “Sprechen und Zuhören”.

Listening Spaces statt Talk-Shows

Echtes Zuhören und generative Dialoge statt Vermarktung der eigenen vorgefertigten Meinungen in Rede-Duellen. Solche Formate würde ich mir mehr wünschen statt klassischer Talk-Shows. Idealerweise im Fernsehen. Ansonsten publiziert und bekannt gemacht als Aufzeichnung im Internet. Wir leben ja im Zeitalter der nahezu unbegrenzten Publikationsmöglichkeiten und sind nicht mehr abhängig von den Massenmedien.