Die Problematik der sowjetischen Kinderliteratur
#sowjetunion #geschichte #medien
Wir haben hier sehr viele russischsprachige Kinderbücher, aber kaum welche aus den sowjetischen Zeiten. Und wenn welche da sind, werden viele nie gelesen.
Ich denke, ich kann das Problem mit diesen Büchern endlich richtig artikulieren.
Sowjetische Kindergeschichten folgen sehr oft einem einfachen Muster:
Ein Kind tut etwas Verwerfliches. Meist ist das Fehlverhalten trivial: Essensverweigerung, Lügen, Faulenzen.
Jemand anders (Peers, Autoritätspersonen) zeigt das Fehlverhalten auf und übt Druck aus. Typischerweise werden Gruppenzwang und/oder Shaming als Druckmittel benutzt, gerne auch andere als Vorbild aufzeigen.
Am Ende bereut das Kind das eigene Verhalten und ändert es. Alle sind glücklich, der gesellschaftliche Frieden ist gerettet.
Solche Geschichten gibt es natürlich auch anderswo, aber in sowjetischer Literatur sind sie wirklich prävalent. Sie begünstigen ein Schwarz-Weiß-Denken: auf einen Seite die Sünder, die es zu bekehren gilt, auf der anderen die moralisch erhabenen Guten.
Es wird hier Mobbing seitens der Guten normalisiert. Letztlich sind solche Geschichten auch bloß ein Abbild einer Gesellschaft, in der solches Mobbing tatsächlich üblich und akzeptiert war.
Ebenfalls typisch für diese Gesellschaft: individuelle Gründe werden gar nicht erst in Erwägung gezogen, Abweichungen von der Norm werden ohne Rücksicht auf Folgen für das Individuum bekämpft. Es wird echte Reue erwartet, obwohl mit diesen Mitteln eigentlich nicht erreichbar.
Zum Glück gibt es heute genug Kinderbücher, die Akzeptanz und Toleranz vorleben, und in denen Andersartigkeit nicht als etwas Schlechtes dargestellt wird. Das passt sehr viel besser zu der Gesellschaft, die ich mir für meine Kinder wünsche.