Doch, Triggerwarnungen können durchaus effektiv sein
In einem Mastodon-Beitrag wurde auf diese Studie aufmerksam gemacht, die zu dem Schluss kommt, Triggerwarnungen seien nicht effektiv. Diese Studie würde ich gerne auseinander nehmen. Denn eigentlich wird hier nur ein möglicher Weg untersucht, wie Triggerwarnungen eingesetzt werden können.
Zunächst einmal ist da die zitierte Kritik an den Triggerwarnungen. Die fängt mit dem üblichen Bullshit an:
Critics have suggested that trigger warnings imperil free speech, academic freedom, and effective teaching
Ja, Rücksichtnahme auf Mitmenschen macht vieles komplizierter. Ist aber kein Grund, um darauf zu verzichten.
Deutlich gefährlicher ist da die andere Aussage:
Other critics have suggested that trigger warnings foster unreasonable expectations about the world, hampering natural resilience among young people
Die Behauptung, man müsse Menschen bestimmten schlechten Dingen nun einmal aussetzen, um ihre “natürliche Abwehr” zu stärken, kommt leider immer wieder. Insbesondere (aber nicht nur) bei autistischen Menschen führt das oft zur nachhaltigen Traumatisierung.
Ich sage es mal in aller Deutlichkeit: das Prinzip “was uns nicht umbringt, macht uns stark” funktioniert nicht. Stattdessen bringt es eine Vielzahl an Menschen mit physischen und psychischen Leiden hervor.
Und dann ist da noch diese Aussage, deren Problematik vielleicht nicht ganz offensichtlich is:
People who view trauma as a core part of their identity have worse symptoms
Also, ob jemand das Trauma als zentralen Bestandteil der eigenen Identität ansieht, bestimmt die Ausprägung der Symptome. Na, merkt ihr das Problem?
Diese Aussage bezieht sich nur auf die Symptome, also ausschließlich die äußerlich sichtbaren Auswirkungen des Traumas. Sie sagt nichts darüber aus, ob sich eine Person besser oder schlechter fühlt.
Tatsächlich ist es sehr wahrscheinlich, dass Menschen, die das Trauma nicht als Bestandteil ihrer Persönlichkeit akzeptieren, die Symptome ihrer Traumatisierung nach Möglichkeiten verstecken. Das bedeutet aber nicht, dass es ihnen besser geht, ganz im Gegenteil.
Das Tüpfelchen auf dem i ist die Fragestellung der Studie. Diese ist:
do [trigger warnings] help trauma survivors emotionally prepare to engage with difficult material?
Die Frage ist also, ob Menschen sich durch die vorherige Warnung besser mit für sie problematischen Material auseinandersetzen können.
Aber ganz ehrlich: warum müssen sie das überhaupt? Wenn wir wissen, dass diese Inhalte für jemanden traumatisierend sein können, warum setzen wir sie ihnen überhaupt vor?
Nun gut, auch dieser Frage hat sich die Studie angenommen. Und stellt fest, dass die Vermeidung problematischer Inhalte für Betroffene zumindest kurzfristig tatsächlich hilfreich sein kann. Allerdings kommt schon im nächsten Satz:
it maintains or worsens PTSD in the long run
Gibt es also Studien, die zeigen, dass Traumatisierung sich durch die Vermeidung von Triggern verschlimmert? Zwei der zitierten Nachweise scheinen theoretische Arbeiten zu sein, die die Mechanismen von PTBS zu erklären versuchen. Deren Vorhersagen sind grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen, solange sie nicht experimentell überprüft sind.
Eine Arbeit (“Cognitive factors involved in the onset and maintenance of posttraumatic stress disorder (PTSD) after physical or sexual assault” von 1999) hat tatsächlich untersucht, welche Faktoren sich dafür verantwortlich zeigen, dass PTBS sich “festsetzt”. Einer der identifizierten Faktoren sind in der Tat dysfunktionale Strategien, konkret: Vermeidung und Suche nach Sicherheit.
Das ist irgendwo einleuchtend: Menschen, die die Auseinandersetzung mit ihren Problemen meiden, können diese nicht lösen. Allerdings steht hier ganz gewiss nicht, dass diese Auseinandersetzung bedeutet, sich den eigenen Triggern aussetzen zu lassen. Vielmehr muss die Auseinandersetzung im psychotherapeutischen Rahmen stattfinden, unter Anleitung von kompetenten Fachkräften!
Mit dieser Scheinargumentation haben die Autoren der Studie also “belegt”, dass die Vermeidung von Triggern keinen Sinn habe. Und bei ihrer eigenen Versuchsdurchführung haben sie sich deswegen darauf beschränkt, Menschen nach einer vorherigen Warnung zu retraumatisieren und ihre Reaktion zu bewerten.
Und siehe da: eine Retraumatisierung ist immer problematisch, ob mit Warnung oder ohne! Wer hätte das gedacht?
Lasst euch bitte von solchen Studien und dem Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität nicht davon abbringen, Triggerwarnungen zu verwenden. Solange ihr nämlich Betroffenen die Wahl gebt, nach einer solchen Triggerwarnungen auf problematische Inhalte zu verzichten, bringen sie auch durchaus etwas.
Nachträgliche Ergänzung: Ich will doch noch explizit sagen, dass ich die Durchführung dieser Studie unter ethischen Gesichtspunkten für absolut unverantwortlich halte. Die Teilnehmer*innen der Studie wurden online angeworben. Diese hat man nicht einmal gesehen, ganz zu schweigen von angemessener Begleitung.
Menschen mit PTBS gezielt zu retraumatisieren, ohne sie dabei psychotherapeutisch zu begleiten, ist absolut nicht in Ordnung. Das wäre den Forschenden auch klar, hätten sie sich je mit Betroffenen unterhalten. Diesen Schritt scheinen sie sich aber gespart zu haben.
Das ist leider eine häufige Erscheinung in psychologischen Studien. Man ignoriert Einwände von Betroffenen und unterstellt ihnen, nicht objektiv über ihre Kondition urteilen zu können. Stattdessen verlässt man sich ausschließlich auf Fremdwahrnehmung und richtet damit mitunter massiven Schaden an.