Wie Abtreibungen Leben retten

#abtreibung #sowjetunion #armut

Die Freunde erzwungener Schwangerschaften erzählen gerne über Leute, deren Mütter eigentlich abtreiben wollten. Was naturgemäß zu kurz kommt, sind Geschichten der Leute, der wegen erzwungener Schwangerschaften gestorben sind.

Ich habe Glück, hier zu sein.

Als meine Eltern beschlossen haben, dass sie ein zweites Kind wollen, hat es lange nicht geklappt. Danach hatte meine Mutter eine Fehlgeburt. Auch ohne medizinischen Hintergrund kann ich ihre Symptome heute einordnen: Sepsis, Lebensgefahr. Sie blieb damit zu Hause.

Sie hat für sich beschlossen, ein Krankenhaus nur aufzusuchen, wenn sie nicht mehr kann. Ich weiß, was für ein Glück es ist, dass sie das überhaupt überlebt und nicht einmal bleibende Schäden davon getragen hat. Sonst wäre ich heute nicht hier.

Warum nicht ins Krankenhaus? Weil zuvor eine ihrer Freundinnen schon eine Fehlgeburt hatte. Im Krankenhaus wollte man ihr nicht helfen, solange sie nicht verrät, wer ihr die “Abtreibung” gemacht hat. Erst, als sie vor Schmerzen das Bewusstsein verlor, wurde etwas getan.

Und das ist die Welt, die die selbsternannten “Lebensschützer” wieder für uns wollen. Eine Welt, in der jede Frau unter Generalverdacht steht, abgetrieben zu haben. Und dadurch auch gerne Lebensgefahr für sie hingenommen wird.

Die Geschichte meiner Mutter hat sich übrigens in der Sowjetunion zugetragen. Dieselbe Sowjetunion, die die Freunde erzwungener Schwangerschaften gerne als Negativbeispiel anführen. Weil Abtreibungen dort gesetzlich erlaubt waren und angeblich deshalb so oft vorkamen.

Die Wahrheit ist natürlich eine andere. Gesetzlich erlaubt, hatten Abtreibungen dennoch Konsequenzen. Die Arbeitsstelle wurde benachrichtigt. Eine Frau konnte dadurch schlimmstenfalls ihre Arbeit verlieren. Deswegen gab es illegale Abtreibungen weiterhin.

Eine ungewollt schwangere Frau war in der Zwickmühle. Die meisten Menschen in der Sowjetunion lebten nach unseren hiesigen Verhältnissen ohnehin unterhalb der Armutsgrenze. Ein Kind war wirtschaftlich nicht tragbar, oft schon wegen dem Wohnraum. Meine Eltern beispielsweise hatten 12 Quadratmeter für drei Menschen. Zweites Kind war für sie erst möglich, als sie ein größeres Zimmer bekamen.

Dazu kam, dass Geld fürs Essen meist ohnehin knapp war. Schwangerschaft austragen bedeutete oft verhungern müssen.

Und offiziell abtreiben? Ohne Arbeit kein oder nur noch wenig Geld. Auch hier war die Perspektive oftmals: verhungern.

Also blieb oft nur noch eine illegale Abtreibung. Und diese wurden verfolgt. Mit den oben beschriebenen Konsequenzen.

Wenn Abtreibungen aber Konsequenzen hatten, warum war die Zahl der Abtreibungen in der Sowjetunion so hoch? Tja, weil Verhütungsmittel so gut wie nicht existierten. Selbst Kondome waren nicht zu bekommen, von anderen Verhütungsmitteln ganz zu schweigen.

Eigentlich ist die Lehre hier ganz klar: wer wirklich Abtreibungen vermeiden will, muss Verhütungsmittel und Aufklärung fördern. Und die wirtschaftlichen Verhältnisse werdender Mütter verbessern.

Aber darum geht es den Freunden erzwungener Schwangerschaften nicht.