Wie Angst unsere Pandemiewahrnehmung prägt
Ich möchte etwas loswerden zur Angst und dazu, was sie mit der vermasselten Pandemiebekämpfung zu tun hat.
Zunächst einmal: Angst zu haben ist normal. Angst sorgt dafür, dass wir in einer potentiell gefährlichen Situation vorsichtiger agieren und schneller reagieren.
Allerdings ist unsere Psyche nicht darauf ausgelegt, dauerhaft im Angstzustand zu sein. Das macht uns krank, also haben wir gelernt, nicht zu lange Angst zu haben.
Das erklärt, was wir am Anfang der Pandemie gesehen haben. Im März 2020 hatte z.B. unsere Eltern-Whatsapp-Gruppe Angst vor dieser neuen Seuche. Man wollte wissen, wie man sich, die Familie und andere Menschen schützen kann. Der erste Lockdown hatte massive Zustimmung, sowohl aus der Politik als auch aus der Bevölkerung. Heute unvorstellbar.
Das Problem: Zeit verging, rationale Maßnahmen wirkten zu langsam. Die Gefahr war nicht gebannt, die Angst blieb.
Was machen Menschen, um ihre Angst loszuwerden? Eine Strategie ist Aktionismus: man unternimmt irgendetwas und fühlt sich anschließend besser. Erinnert ihr euch noch an das Aufkaufen von Toilettenpapier und Nudeln? Ja, es muss nicht immer Sinn ergeben.
Man kann die Angst aber auch wegreden. Die Politik hat gleich am Anfang eine Steilvorlage dafür geliefert: “für die meisten Menschen harmlos”, “nur bei Vorerkrankungen gefährlich”, “mit unserem Gesundheitssystem nichts zu befürchten”. Diese Mythen werden auch heute noch gebetsmühlenartig wiederholt. Nicht, weil man es nicht besser wüsste, man hat ja nicht unter einem Stein gelebt. Sondern, weil man sich damit die Angst vom Leib halten kann.
Diese Strategie hat allerdings ein Problem: man wird ständig daran erinnert, dass man doch Angst haben sollte. Das erklärt, warum so viele Menschen gegen die Covid-Maßnahmen kämpfen. Es erklärt auch, warum es diesen Menschen nicht ausreicht, selber keine Maske tragen zu müssen. Nein, alle, aber auch wirklich alle sollten auf die Maske verzichten! Und vielleicht lässt dann die Angst locker.
Ängstlichkeit wird ständig anderen unterstellt. Nein, man selber ist mutig, man hat keine Angst vor so einem läppischen Virus! Es sind die anderen, die Angst haben, die irrational agieren. Und wenn man das nur oft genug wiederholt, glaubt man vielleicht auch daran.
Dadurch, dass auch die Politik diese Richtung für sich gewählt hat, wurde die Pandemie in die Länge gezogen. Und das wird zunehmend zu einem Problem für die Leute, die sich bisher weitestgehend rational verhalten haben.
Ich habe mir nämlich bisher gesagt: ich tue, was nötig ist, und irgendwann ist diese Pandemie vorbei. Wenn wir einen vernünftigen Lockdown machen. Wenn die Impfungen da sind. Wenn alle sich impfen lassen können. Ganz bald schon, bestimmt.
Aber dieses “bald” wird nicht mehr kommen. Die Pandemie bleibt noch für viele Jahre unser ständiger Begleiter. Weil die Politik es auch weiter vermasseln wird.
Ja, ich habe Angst. Ich kann mir nicht einreden, keine Angst zu haben, es funktioniert bei mir so nicht. Ich weiß nämlich, dass es eine völlig rationale und berechtigte Angst ist. Ich muss für mich und meine Familie eine neue Normalität finden. Eine Normalität, in der es Kompromisse geben wird.
Nein, ich will nicht akzeptieren, zwangsläufig ständig Covid-Infektionen durchmachen zu müssen. Wir werden uns weiterhin schützen, so gut es geht. Es wird aber kein perfekter Schutz sein. Weil individuelle Maßnahmen ohne gesellschaftlichen Rückhalt nicht zuverlässig funktionieren. Weil Kinder nicht auf alles verzichten können. Und, und, und...
Hoffentlich reicht das. Und das ist jetzt meine Strategie: ich habe getan, was getan werden kann. Mehr kann ich einfach nicht tun.