Borderlands 4: Die entfesselte Rückkehr des Chaos

“Borderlands 4” ist kein vorsichtiges Experiment, sondern eine aggressive Bestätigung, dass das Franchise auch nach Jahren noch genau weiß, wo seine Stärken liegen. Gearbox liefert kein zögerliches Aufwärmen, sondern eine Explosion, die gleichzeitig bekannt und doch erfrischend neu wirkt. Die zentrale Formel, das berüchtigte “looter-shooter loop”, ist hier nicht nur intakt, sondern zur Perfektion geschärft. Wer sich fragt, warum man dieses Spiel spielen sollte, bekommt die Antwort schon in den ersten Minuten: weil es knallt, weil es belohnt, und weil es einen Sog erzeugt, aus dem man sich kaum befreien will.

Die verlassene Küche einer wissenschaftlichen Einrichtung, überwuchert von aggressiven, fleischfressenden Pandora-Pflanzen.

Der Sog des Looter-Shooter-Loops

Die Schusswechsel in “Borderlands 4” sind gnadenlos präzise und schamlos befriedigend. Jeder Treffer, der ins Schwarze geht, erzeugt ein mechanisches, beinahe musikalisches Klicken im Kopf des Spielers. Kritische Treffer sind nicht nur Zahlen, sie sind akustische Explosionen, die das Adrenalin steigern. Man schießt, man plündert, man wertet auf, und ehe man sich versieht, sitzt man stundenlang in einer Endlosschleife, die niemals ermüdet. Diese hypnotische Routine bleibt das Herzstück, doch sie ist verfeinert durch neue Waffenvarianten, ausgeklügelte Elementareffekte und eine KI, die den Spieler ernst nimmt. Es ist eine Droge, die man in Kauf nimmt, und wer überlegt, ob er Borderlands 4 kaufen sollte, muss nur ein paar Minuten in einem Feuergefecht verbringen, um die Antwort zu kennen.

Die schiere Größe des Abenteuers

Was früher als überdimensioniert galt, wirkt hier wie ein kleiner Vorgeschmack. “Borderlands 4” ist monumental in seiner Ausdehnung. Kairos, der neue Planet, ist kein bloßes Areal, sondern eine Welt, die sich unendlich verzweigt. Überall lauern Höhlen, Dörfer, Festungen, geheime Verstecke. Jede Ecke schreit nach Erkundung, und die Karte ist übersät mit Quests, Nebenaufgaben und Ablenkungen, die sich nie wie Füllmaterial anfühlen. Man hat das Gefühl, in einem gigantischen Themenpark gefangen zu sein, in dem jede Attraktion noch verrückter ist als die vorige. Das Spiel zwingt dich nicht, alles zu sehen, doch es verführt dich ständig dazu. Die Dauer dieses Abenteuers ist nahezu unerschöpflich, und wer behauptet, er sei nach zwanzig Stunden fertig, hat schlichtweg den halben Planeten ignoriert.

Die atemberaubende, aber trügerische Schönheit der giftigen Kristallseen auf dem Planeten Promethea.

Spielerfreundliche Finessen

Gearbox hat verstanden, dass nicht jede Sekunde episch sein muss, um Spieler bei der Stange zu halten. Man kann nun das Intro einfach überspringen, ohne immer wieder den gleichen bombastischen Auftakt zu ertragen. Die Benutzeroberfläche für Inventar und Skills ist klar strukturiert, ohne unnötigen Ballast. Endlich verbringt man weniger Zeit im Menü und mehr Zeit im Kampf. Auch die akustische Gestaltung ist messerscharf: Explosionen krachen, Stimmen schneiden durch den Raum, Waffen haben ein markantes Eigenleben. Es ist ein Luxus, der nicht laut prahlt, sondern unaufdringlich den Spielfluss beschleunigt.

Kairos als lebendige Figur

Der wahre Star ist nicht ein Vault Hunter oder ein Bossgegner, sondern der Planet selbst. Kairos ist ein Organismus, eine atmende Bühne, die dem Spieler nie das Gefühl gibt, bloß auf einer Tapete herumzulaufen. Die ländlichen Fadelands verbreiten eine fast idyllische Ruhe, die sich trügerisch schnell in Chaos verwandelt. Carcadia Burn hingegen ist ein postapokalyptischer Albtraum aus Ruinen und Asche, während die Terminus Range gnadenlos mit harschem Klima und gefährlichen Kreaturen aufwartet. Alles zentriert sich um die Dominion, das pulsierende Herz dieses Kosmos, das zugleich Ordnung und Wahnsinn verspricht. Die Landschaften laden nicht zum Schnellreisen ein, sie verlangen nach ungebändigter Erkundung mit Fahrzeugen, die endlich so agil und frenetisch funktionieren, wie es die Serie schon immer wollte. Wer hier über die Karte rast, hat das Gefühl, dass der Boden selbst ein Charakter ist, der die Reise begleitet.

Ein verlassener Spielautomat von Marcus, einsam und verlassen in der Mitte einer ausgebombten Kraterlandschaft.

Kontext und Einfluss

Es ist kaum zu übersehen, dass “Borderlands 4” bewusst seine eigene Geschichte weiterträgt, aber auch auf die Konkurrenz schielt. Während andere Action-Rollenspiele mit realistischer Gravitas versuchen, den Spieler in tiefere moralische Dilemmata zu ziehen, bleibt Borderlands bei seiner anarchischen DNA. Es ist ironisch, fast übermütig, und damit näher am Geist klassischer Arcade-Exzesse als an schwerfälligen Epen. Dennoch ist die technische Umsetzung so sauber und modern, dass man nicht das Gefühl hat, einen Rückschritt zu erleben. Wer die emergenten, player-driven Stories von Sea of Thieves kennt, wird feststellen, dass hier ein völlig anderes Prinzip herrscht: statt unvorhersehbarer Seefahrts-Abenteuer regiert die sorgfältig designte und skriptete Dynamik des Chaos.

Die Kunst der Eskalation

Das Spiel versteht die Kunst, stetig zu eskalieren, ohne in Übertreibung zu verfallen. Neue Gegnertypen, neue Waffen und zunehmend komplexere Questlinien sorgen für ein Gefühl permanenter Steigerung. Der Humor ist immer noch da, oft albern, manchmal nervig, aber stets Teil der DNA. Man kann darüber streiten, ob die Witze manchmal ins Leere laufen, doch selbst dann unterbrechen sie nie den Fluss. Die Entwickler wissen, dass der wahre Anreiz nicht der nächste Gag ist, sondern die nächste Waffe, die noch verrückter schießt als die vorherige.

Nahaufnahme der Hände eines Soldaten, die eine schwere Maschinenpistole nachladen – eine Geste, die zur reinen Muskelerrinnerung geworden ist.

Kritik und Schattenseiten

Doch Perfektion ist hier nicht erreicht. Trotz der enormen Größe schleichen sich Längen ein, die Queststruktur wiederholt sich, auch wenn sie geschickt variiert wird. Manche Bosse wirken wie Pflichtübungen, eher designed, um den Spieler zu beschäftigen als um wirklich zu überraschen. Der Tonfall kann ermüden, wenn man stundenlang derselben ironischen Pose ausgesetzt ist. Und so brillant Kairos auch ist, die technische Umsetzung zeigt gelegentlich Risse: Frame-Drops in hektischen Massenschlachten, kleinere Bugs, die an den Rändern knabbern. Es ist nichts, was das Erlebnis zerstört, doch es verhindert die makellose Krone.

Kaufentscheidung und Plattformen

Wer seine Bibliothek erweitern will, kommt kaum um dieses Chaos herum. Gerade für Spieler, die ihre Sammlung auf Konsole pflegen, ist es der Moment, über neue Xbox-Spiele kaufen nachzudenken. “Borderlands 4” ist dabei kein Nebenkandidat, sondern der Hauptgrund, den Katalog zu erweitern. Auf dem PC wie auch auf den aktuellen Konsolen läuft es mit Wucht, und es beweist, dass die Serie nicht nur lebt, sondern immer noch definieren kann, wie ein modernes Action-RPG zu klingen und sich anzufühlen hat.

Der Blick nach oben in den bauchigen, ölverschmierten Rumpf eines abgestürzten Lastenschiffs, der als notdürftige Basis dient.

Fazit

“Borderlands 4” ist ein Spiel, das seine eigene DNA verstanden hat und sie ohne Hemmung auf die Spitze treibt. Es ist ein Meisterwerk der Eskalation, ein Fest aus Waffengewalt, Plünderlust und satirischem Exzess. Es lebt von einem Planeten, der mehr ist als Kulisse, von einer Struktur, die süchtig macht, und von einer Umsetzung, die trotz kleiner Makel auf einem Niveau agiert, das viele Konkurrenten alt aussehen lässt. Man kann über Details diskutieren, man kann über Humor streiten, doch man kann nicht leugnen, dass dies das Spiel ist, das den Begriff “looter-shooter” weiterhin dominiert. Wer sich darauf einlässt, weiß: Chaos war selten so befriedigend.