Was bleibt uns noch?
“Es läuft so viel schief, es gibt so viel zu sagen, und das alles geschieht so schnell. Das Tempo der Unterdrückung übersteigt unsere Fähigkeit, sie zu verstehen. Und das ist der eigentliche Trick der imperialen Denkmaschine. Es ist einfacher, sich hinter 40 Gräueltaten zu verstecken als hinter einem einzigen Vorfall.”
Dieses Zitat aus der Star Wars-Serie “Andor” hat mich neulich wahnsinnig zum Nachdenken gebracht. Es ist nicht nur ein Zitat, welches den Zustand der Galaxis in jener Geschichte erzählt, man kann es auch auf so viele aktuelle Geschehnisse der Gegenwart, unserer realen Welt anwenden. Klimakrise, Rechtsextremismus, der Krieg in der Ukraine, den Kapitalismus in all seinen Ausprägungen....ich wüsste nicht, wie und wo ich anfangen sollte.
Mal davon abgesehen, dass mir die Expertise fehlt, mich kompetent zu einem dieser Themen zu äußern, ich möchte das klarstellen, dass ich hier rein persönliche Erfahrungen und Beobachtungen behandle, ob ihr das auch so seht, könnt ihr individuell beurteilen.
Zurück zum Thema: Das Andor-Zitat beschreibt, dass man nicht mehr fähig ist, auf das Ausmaß, die Schnelligkeit und Häufigkeit der Unterdrückung reagieren zu können. Es ging aber nicht von Anfang an so schnell, an anderer Stelle in der Serie sagt jemand, dass man die langsam wachsende Bedrohung nicht gesehen hat oder sehen wollte. Sie wuchs und wuchs, wird immer weiter verharmlost und normalisiert, bis die Freiheit (die wirkliche Freiheit, nicht diesen FDP-Egoismus) zu ersticken beginnt. Man erreicht sozusagen eine Art “Kipppunkt”, an dem sich die Sache so sehr verselbstständigt, dass niemand mehr dagegen anzukommen vermag.
Wir kennen den Begriff “Kipppunkt” bereits aus der Klimathematik, man sieht aber durchaus noch weitere. Das Klima in der politischen Debatte. Die Verharmlosung und Normalisierung von rechtsextremen Gedankengut und rechtsextremer/rassistischer Sprache. Wir alle haben die jüngsten Beispiele im Kopf, Silvester, Friedrich Merz bei Lanz usw. , das ist nicht neu, schlägt aber immer öfter und in sehr kurzen Abständen ein.
Die Union normalisiert dieses Gedankengut, welches für gewöhnlich aus der tiefbraunen AfD-Ecke kommt. Innerlich zählen wir alle schon die Zeit runter, bis die beiden ihre erste Koalition bilden.
Aufschrei in den sozialen Medien gibt es genug, aber reicht uns das? In mir schlummert die Angst, dass wir diese Art von Kipppunkt bereits verpasst haben oder kurz davor stehen, man fühlt diese Machtlosigkeit und hat keine Ahnung, wie man eingreifen soll.
Es gab mal ne Zeit, da dachte ich, der Eintritt in eine Partei ist das Mittel, um solchen Entwicklungen entgegenzuwirken, nach einem kurzen Vorstandsamt (welches ich dann mit dem Austritt “krönte”) wurde mir jedoch klar: Nein. Oder zumindest nur bedingt. Parteien haben fast durch die Bank verkrustete Strukturen, selbst welche, die sich progressiv nennen, haben große Probleme, mit Ideen oder Utopien die Menschen zu begeistern. Meist herrschen schlechte Strukturen, Intrigen, Hinterzimmerpolitik. Nicht besser als in den Parteien, die man tagtäglich kritisiert.
Wer in einer Partei aktiv sein und etwas bewegen möchte, braucht vor allem auch Zeit. Zeit, die die Menschen nicht haben, da man im Alltag zu sehr mit Überleben beschäftigt ist, nach einem stressigen Arbeitstag entweder die Kinder im Fokus stehen, die Beziehung zur/zum Partner*in, oder die soziale Batterie so leer ist, dass man sich nur noch müde auf die Couch setzen kann.
Wer privilegiert genug ist, noch ein politisches Engagement ausüben zu können, hat gleichzeitig auch eine große Machtoption. Theoretisch. Kathrin Henneberger hat jüngst zum Thema Lützerath geäußert, “RWE sei zu mächtig”.
Anne Herpertz von den Piraten betitelte Hennebergers Aussage als “gruselig”, wenn eine MdB zugeben muss, dass Konzerne eine Macht haben, die nicht mehr einzufangen ist, obwohl Politik ja die Vorgaben macht/machen sollte. Klar ist das abhängig von Regierungskonstellationen, aber wem traut man denn heute noch zu, dieses Cthulhu-artige Wesen, namens Kapitalismus, einzufangen?
Es sieht ganz danach aus, als ob wir den politischen Kipppunkt bereits verpasst haben, Konzerne fräsen die Erde weg und niemand kann das noch stoppen, Politik, so scheint es, ist schon zu weit von der Gesellschaft entrückt, als dass sie noch eine Hebelwirkung zugunsten des Gemeinwohls, unseres Überlebens entfalten kann.
Sehr dunkle und deprimierende Gedanken, es tut mir leid. Aber wie können wir dem Ganzen noch entgegenwirken?
Für mich sind Utopien ein gedanklicher Ausweg aus dieser Situation. Die schönste und kraftvollste hat in meinen Augen Teresa Bücker mit “Alle_Zeit” verfasst. Zeit ist der Schlüssel, ein machtvolles Instrument, was je nach Verwendung zu Unterdrückung oder Freiheit führt. Wir brauchen Zeit im Alltag, Zeit um Gedanken zu fassen, Zeit um alles drumherum begreifen und handeln zu können. Wir brauchen Zeit für politisches Engagement.
Die haben wir nicht, da unser gesamtes Kontingent für die Erwerbsarbeit, die Care-Arbeit und Regeneration draufgeht. Auch können wir sie uns nicht wirklich individuell erstreiten, es braucht eine politische Lösung für eine andere Verteilung von Zeit.
Ansätze wie die 4-in-einem-Perspektive von Frigga Haug können ein Grundstein dafür sein. Von alleine wird die Politik das aber nicht ändern, es braucht wohl eine andere Art von “Druck”.
Denn auch hier: Politik verschläft, dass sich die Gesellschaft verändert, reagiert zu langsam oder gar nicht darauf, politische Teilhabe wäre auch in ihrem Sinne, denn irgendwann sterben die Mitglieder buchstäblich weg und wenn Politik und Gesellschaft zu weit voneinander entrückt sind, bekommen wir immer schwerwiegendere Probleme.
Auch für mich ist eine Parteimitgliedschaft zeitlich nicht machbar. Ich sehe auch momentan nicht, wie man Veränderung in Parteien vorantreiben könnte. Solange halte ich es wie Margarete Stokowski, die in einem Podcast mal so ähnlich sagte, Texte schreiben wirke direkter und schneller, als ein jahrelanges “Hocharbeiten” in einer Partei, in der man die meiste Zeit als Basismitglied unsichtbar agiert.
Texte können ein starkes Instrument sein, deswegen: Holt euch das Buch Alle_Zeit von Teresa Bücker, borgt es euch, verschenkt es, redet darüber. Das ist DER Text, der den Unterschied ausmachen oder das Feuer entfachen, die Sehnsucht nach einem besseren Leben wecken kann.
Wenn man so will, ist das ja auch eine Form von Aktivismus. Wohl das Mittel, was uns aktuell noch bleibt.
Danke euch fürs Lesen meiner (wirren) Gedanken und bis dann.
Euer Mario