Der russische Imperialismus als Nachwirkung der Sowjetunion

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Wenn ihr euch beim Lesen der Nachrichten fragt, was Russland mit der Ukraine will, wenn es schon die eigenen Territorien kaum versorgen kann: es hat auch damit zu tun, dass das kollektive Trauma Russlands, der Zerfall der Sowjetunion, nie verarbeitet wurde.

Die Propaganda der Sowjetunion war plump. Man wusste, dass ihr nicht zu trauen war. Und doch ist bei vielen Menschen etwas hängengeblieben: wir sind stark, wir werden gefürchtet und beneidet, ohne uns geht keine Rechnung auf.

Und plötzlich fanden sich die Menschen im postsowjetischen Russland wieder. Immer noch ein großes Land, aber viel kleiner. Immer noch bedeutend, aber keine Weltmacht mehr. Und mit einem Präsidenten, der sich gerne national wie international zum Clown machte.

In dieser Situation kam Putin als “der starke Mann” an die Macht. Und damit war die kurze Phase der kritischen Auseinandersetzung mit dem Erbe der Sowjetunion schon wieder vorbei. Putin versprach ein Wiedererstarken Russlands und knüpfte nahtlos an sowjetische Propaganda an.

Die Heldengeschichten wurden wieder populär. Insbesondere der Sieg über den deutschen Faschismus wurde wieder glorifiziert. Dass an der enormen Zahl sowjetischer Opfer die Entscheidungen der sowjetischen Führung mitverantwortlich waren: wieder ausgeblendet.

Erst kürzlich wurde die russische Menschenrechtsorganisation Memorial zwangsaufgelöst, die den Opfern der Sowjetunion bedachte. Vor Gericht wird Klartext gesprochen: “Warum wird uns vorgeschlagen, statt stolz auf unser Land zu sein, das die Welt vor dem Faschismus befreit hat, sich stattdessen für unsere, wie sich herausstellt, finstere Vergangenheit schämen? Weil jemand dafür bezahlt.”

Während man sich für die Auflösung juristischer Vorwände bedient, gibt man den wahren Grund offen zu: Memorial würde ein falsches Bild der Sowjetunion zeichnen. Sprich: nichts soll dem Geschichtsrevisionismus offizieller Stellen entgegenstehen. Kritik ist unerwünscht.

Was hat das mit der Ukraine zu tun? Während in der Sowjetunion theoretisch alle Völker gleichgestellt waren, stellte die sowjetische Propaganda die Führung durch etnische Russen als naturgegeben dar. Der Panslawismus des Russischen Reiches wurde in Wirklichkeit nie aufgegeben.

Entsprechend wenig Verständnis hatte man für die Unabhängigkeitsbestreben Ukraines, die in der Sowjetunion mit extremer Gewalt und Zwangsrussifizierung bekämpft wurden. Gleichzeitig wurde die gemeinsame Geschichte betont: beide Länder beanspruchen Kiew als ihren Ursprung.

Seit dem 2. Weltkrieg kommt hinzu: die Ukrainer sollten Russland dankbar sein, dass sie befreit wurden. Dass für die Ukraine eine Besatzung durch eine andere ersetzt wurde, ist in der russischen Wahrnehmung nicht präsent.

Und so gibt es auch im heutigen Russland sehr viele Menschen, die die Ukraine als rechtmäßig russisches Territorium ansehen. Auch dieser Tendenz hat Putin nie entgegengewirkt, sondern sie sogar noch gezielt verstärkt.

Will Putin also von Problemen im eigenen Land ablenken, kann er immer die Ukraine in die Mangel nehmen. Die Zustimmung im eigenen Land ist ihm gewiss. Als Russland 2014 die Krim eroberte, war der Jubel groß. Und es hat ihn nichts gekostet, Konsequenzen sind ausgeblieben.